Protokoll der Tagung

„Polen im deutschen Schulunterricht: Zwischen Wunsch und Realität“
17. bis 19. November 2011

 

Donnerstag, 17.11.2011, 17.00

Begrüßung

Im Namen der Akademie für politische und soziale Bildung der Diözese Mainz, dem Haus am Maiberg in Heppenheim, begrüßte Stephan Schwieren als erster der drei Veranstalter der Tagung „Polen im deutschen Schulunterricht: Zwischen Wunsch und Realität“ die Teilnehmer. Die Akademie verstehe sich als Ort der internationalen Begegnung und des Lernens, wobei Schwieren die Aspekte der internationalen Jugendarbeit und des Fachkräfteaustausches sowie der Jugendbildung hervorhob und hierbei gerade wegen der Zusammenarbeit mit polnischen Partnern den deutsch-polnischen Schwerpunkt der eigenen Arbeit betonte. Das Haus am Maiberg sei demnach auch der geeignete Ort für diese Veranstaltung, wobei mit Blick auf den zweiten Veranstalter der Tagung, das Deutsche Polen-Institut Darmstadt, ebenso die geographische Nähe als auch positive Erfahrungen vorheriger gemeinsam organisierter Tagungen eine Rolle spielte.

Dieser herzlichen Begrüßung sowie der Gastfreundschaft der Akademie begegnete anschließend Dr. Matthias Kneip mit dem Kompliment, man könne sie geradezu „als polnisch bezeichnen“. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut und Mitautor der bereits erschienenen Lehrerhefte „Polnische Literatur und deutsch-polnische Literaturbeziehungen“ und „Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen“, erklärte Kneip die Trilogie mit dem nun erscheinenden dritten Teil „Polnische Gesellschaft“ zwar für abgeschlossen, stellte jedoch zugleich klar, dass die Veröffentlichung des Buches keineswegs ein Schlusspunkt darstelle. Vielmehr sei es nun ebenso wichtig darüber zu diskutieren, wie mit diesen Materialien in den Schulen gearbeitet werden könne. Eben dies, so Dr. Kneip, sei auch Ziel dieser durch die Robert-Bosch-Stiftung geförderten Tagung. Insbesondere die anwesenden Vertreter aus Wissenschaft und dem Schulbuchbereich sowie Pädagogen sollten hier diesbezüglich ebenso ihre Erfahrungen und Wünsche wie auch Probleme zur Sprache bringen und auf diesem Weg des direkten Kontaktes zwischen Wissenschaft und Schule gute Tagungsergebnisse erreichen. Dass viele Zuhörer zugleich auch Referenten seien, könne diesen Dialog nur befruchten.

Manfred Mack, ebenfalls Mitarbeiter am DPI und Mitautor der Unterrichtswerke, betonte in seiner Begrüßung zudem die Ausrichtung des Instituts, welches seit seiner Gründung 1980 durch Karl Dedecius das Ziel verfolge, durch seine Arbeit zur Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse des kulturellen, geistigen und gesellschaftlichen Lebens von Polen und Deutschen beizutragen. Bereits ab Mitte der 1990er Jahre vollzog sich dabei eine Profilerweiterung, sodass sich die Arbeit neben den genannten Bereichen nun auch verstärkt auf Bildungsprojekte bzw. Schulbücher fokussierte. Mit der Trilogie, so auch Mack, sei eine wesentliche Etappe zwar abgeschlossen, die Tagung solle jedoch insbesondere auch dazu beitragen, Antworten auf die Frage zu finden, wie diese Veröffentlichungen sinnvoll im Unterrichtsalltag eingesetzt werden können.

Als Repräsentant des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig und damit als dritter Veranstalter dieser Tagung begrüßte schließlich Thomas Strobel die TeilnehmerInnen. Spielte das Institut bzw. dessen Vorläufer schon ab den 1950er Jahren eine wichtige Rolle im deutsch-polnischen Schulbuchdialog, so ist es mit seinem Projekt eines gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtsbuches für Schulen beiderseits der Oder auch seit 2007 wieder einer der zentralsten Akteure auf diesem Feld.   

   

Donnerstag, 17.11.2011, 17.30 – 18.30

Eröffnungsvortrag von Prof. Jacobmeyer

Als Eröffnungsreferent trat Prof. Dr. Wolfgang Jacobmeyer vor das Plenum. Er hat nicht nur zu den deutsch-polnischen Beziehungen intensiv geforscht und sich als Ordinarius für Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster um die Thematik verdient gemacht, sondern auch als wissenschaftlicher Referent am Institut für Zeitgeschichte in München gearbeitet und später als stellvertretender Direktor des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig an den deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen teilgenommen.

Ausgehend von der These, mit der Schule habe sich zunächst der preußische, dann auch der deutsche Staat eine „Anstalt“ geschaffen, die – bis heute – eine narrative Struktur sowie einen Nationalbezug im Bildungswillen völlig selbstreferent mache, zeigte Prof. Jacobmeyer in seinem Vortrag „Polen im deutschen Schulunterricht. Geschichte, Gegenwart, Ausblick“ am Fallbeispiel der Teilungen Polens, den in deutschen Schulbüchern und im deutschen Schulunterricht erkennbaren Zwang zur Legitimation und die perspektivische Bindung der Urteile an die jeweilige politische Gegenwart. Eine Zäsur dieser – falls überhaupt vorhandenen – Behandlung der Thematik sieht der Referent erst durch die deutsch-polnischen Schulbuch-Empfehlungen für die Fächer Geschichte und Geographie markiert, die seit 1972 erarbeitet wurden und 1976 vollständig erschienen sind. Trotz der dadurch ausgelösten politischen Emotionen oder gar „blindwütiger Angriffe“ auf die Mitglieder der Kommission beider Länder sei hier ein Standard erreicht worden, hinter den man nun nicht mehr zurückgehen dürfe, was Prof. Jacobmeyer nicht nur darauf bezog, dass sich die Polen-Bezüge in Lehrbüchern der Bundesrepublik verbessert hätten. Vielmehr handle es sich bei den Empfehlungen um das verwirklichte Prinzip, zwei Nationalgeschichten in ihren Beziehungen mit je gleichem Gewicht und gleichem Recht vorzustellen. Sie gaben demnach für das, was die deutsche Schule über Polen und die deutsch-polnischen Beziehungen lehren will, erstmals den Modus gegenseitigen Respekts vor. So käme es also nicht darauf an, von der polnischen Geschichte quantitativ mehr im Unterricht zu vermitteln, sondern eine neue Qualität der Selbst- und Fremdwahrnehmung auf gleicher Augenhöhe zu schaffen.

Auch für die Zukunft sieht der Referent in einer bloßen Vermehrung der Polen-Bezüge weder einen didaktischen Standard noch ein realistisches Modell, steht der Geschichtsunterricht doch unausweichlich unter dem Zwang, immer mehr Realgeschichte im unmittelbaren Gefolge der Zeitgeschichte zu verarbeiten und die davor liegende Geschichte zu komprimieren und zu elementarisieren. Vielmehr plädierte er für den Vergleich als künftigen Darstellungsmodus. Seine Vorzüge: einmal könnten im Sinne von „Konsensobjektivität“ beide Seiten zustimmen, weil sie sich in der Darstellung getroffen finden und weil die Schüler beider Seiten daraus lernen könnten; zum anderen würden sie in diesem Falle nicht nur Inhalte lernen, sondern auch Methodik, und schon das sei ein didaktischer Mehrwert. Drittens würde das Umfangproblem damit gezähmt, sodass sich das Problem endlich in arbeitsunterrichtlicher Form präsentieren würde. Eine vergleichende Darstellung wäre schließlich allem hoch überlegen, was derzeit in deutschen und polnischen Lehrbüchern vorzufinden sei.

Ein Unterrichtssystem, wie es Hartwig Zillmer von der Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg in der anschließenden Diskussion vorstellte, punktweise Aspekte der Geschichte zu behandeln, begrüßte Prof. Jacobmeyer zwar, sah es aber als sehr anspruchsvoll an. Dr. Kneips Frage nach der Bewertung der aktuellen Entwicklung der Lehrpläne weg von chronologischen Additiven ergänzte Dr. Urte Kocka von der FU Berlin mit der Frage, ob man im Unterricht „Epochen“ nicht zugunsten übergreifender Probleme auflösen müsse. Der Referent stimmte hier zwar einerseits zu, gab jedoch zu bedenken, dass auf diesem Weg altes Grundwissen wie beispielsweise eben Epochenübersichten unter den Schülern verloren ginge. Zbigniew Wilkiewicz vom Gesamteuropäischen Studienwerk e. V. nannte abschließend mit dem Modell der Geschichtsorte, der Begegnung auf Augenhöhe sowie der Empathie drei Stichpunkte, welche sich in der außerschulischen Bildung als sinnvoll erwiesen hätten, und die als mögliches System für den Schulunterricht brauchbar seien. Insbesondere der letzte Aspekt, die Empathie, fand dabei übergreifende Zustimmung sowohl im Plenum als auch am Rednerpult.

Donnerstag, 17.11.2011, 20.00 – 21.30

Lesung mit Matthias Kneip

Mit seiner Lesung „Polen entdecken. Eine humorvolle Begegnung mit dem Nachbarland“ sorgte Dr. Matthias Kneip für den Ausklang des ersten Tagungstages. Auf Grundlage seiner zahlreichen journalistischen Essays und Prosaveröffentlichungen berichtete Dr. Kneip mit seinem Programm, über seine persönlichen und beruflichen Beziehungen und Erfahrungen mit Polen, der Kultur und den Menschen dieses Landes, den Schwierigkeiten der polnischen Sprache sowie verschiedensten Aspekten der deutsch- beziehungsweise bayerisch-polnischen Beziehungen, was er immer wieder mit entsprechenden Auszügen seiner Texte oder Gedichte untermalte. Passend zum Thema der Tagung ging er zudem ebenso auf seine Erfahrungen mit deutschen Schülern bezüglich dieser Thematiken ein, berichtete von Fragen und Reaktionen auf seine Lesungen oder aber den feinen Unterschieden zwischen dem polnischen und englischen Sprachunterricht. Im Jahr 2012 wird Dr. Kneip mit einem speziellen Programm zur Europameisterschaft über das Thema Fußball den Schülern einen Zugang zu Polen anbieten, über die Spielorte Posen, Danzig, Warschau und Breslau auf die Geschichte eingehen und so auf seine Art die Schüler in ihrer Lebenswelt „abholen“

 

Freitag, 18.11.2011, 9.00 – 12.00 Uhr

Sektion Geschichte – Moderation: Manfred Mack

Mit den Worten Prof. Jacobmeyers, beim Thema der Tagung „Polen in der Schule“ würde es in erster Linie um den Geschichtsunterricht gehen, eröffnete der Moderator Manfred Mack diese erste große Sektion der Tagung. Der erste Referent, Prof. Jörg-Dieter Gauger, stellvertretender Hauptabteilungsleiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste der Konrad Adenauer Stiftung, stellte in seinem Vortrag „Polnische Bezüge in Lehrplänen und Schulbüchern“ nicht nur die Frage, was insbesondere die deutschen Gymnasiasten über Polen und das deutsch-polnische Verhältnis wüssten, sondern auch, aus welchem Grund sich Schüler hierzulande gerade für die polnische Geschichte, die Literatur oder Politik des östlichen Nachbarn interessieren sollten. Nach Meinung Prof. Gaugers sei keine andere Beziehung historisch derart beladen und belastet wie die deutsch-polnische und beinhalte daher zahlreiche Probleme, weshalb es mehr Anlass gebe, sich damit im Schulunterricht zu beschäftigen als mit der Geschichte Deutschlands zu seinen anderen Nachbarländern. Gerade vor diesem Hintergrund fiel sein auf der Grundlage empirischer Untersuchungen deutscher Schulbücher und Lehrpläne erstelltes Urteil, deutsche Schüler seien „ostkundliche Analphabeten“, umso deutlicher aus. Aspekte der Geschichte Polens sowie der deutsch-polnischen Beziehungen seien im Unterricht marginal oder – ebenso problematisch – in vereinfachender, relativierender und anonymisierender Form dargestellt, was es bei Schülern unmöglich mache, ein Verständnis über das Verhältnis beider Länder zu erzeugen.

Das Interesse der deutschen Schulbehörden und Politiker, ein systematisches Bild der deutsch-polnischen Beziehungen zu vermitteln, sei derweil nicht zu erkennen. Die Begründung hinter dieser Tendenz vermutet der Referent in den geschichtlichen Themenfeldern, die noch heute zu den heiklen gehören, in der Hierarchisierung der Opfergruppen, wobei der Holocaust alles überschatte und andere Opfergruppen in den Hintergrund dränge, sowie zuletzt in der vorherrschenden Interpretation der deutsch-polnischen Vergangenheit deutscher Schulbücher, die sich in ihrem Schwarz-Weiß- bzw. Opfer-Täter-Raster eher der polnischen Darstellung annähere, was schließlich zur Folge hätte, dass sich die Geschichtsbilder in beiden Ländern zu decken begännen.

Dr. Markus Krzoska, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Justus-Liebig-Universität Gießen und Initiator der Internet-Mailingliste „Polhist“, befasste sich in seinem Vortrag aus der Sicht der Geschichtsforschung mit der Frage „Was sollen deutsche Schüler im Geschichtsunterricht über Polen lernen?“, wobei er, ähnlich wie sein Vorredner, Schülern bzw. Studienanfängern große Lücken bezüglich der Geschichte bescheinigte. Ausgehend von einer generellen Darstellung des erfolgten und zukünftigen Wandels der Methoden und Schwerpunkte der Geschichtswissenschaft – sei dies hinsichtlich der Zunahme der Forschungsfelder, der verstärkten Zusammenarbeit mit Nachbardisziplinen, der Veränderungen durch die neuen elektronischen Massenmedien oder der Frage etwaiger Popularisierungstendenzen innerhalb der Wissenschaft – sprach Dr. Krzoska in diesem Zusammenhang über die Entwicklungen und Auswirkungen auf die historiographische Beschäftigung mit Polen. Auch hier wurde der Stellenwert der deutsch-polnischen Schulbuchkommission aufgrund ihrer erstmalig gleichberechtigten Gesprächsqualität hervorgehoben. Heute gäbe es auf historiographischer Ebene zwar immer noch Kontroversen, diese seien aber nicht mehr von der nationalen Herkunft der jeweiligen Forscher abhängig.

Forderungen, der polnischen Geschichte im deutschen Unterricht mehr quantitatives Gewicht zu verleihen, wies Dr. Krzoska zwar mit Blick auf die vorherrschenden Zwänge der Curricula und des Alltags, ebenso aber auch auf die Wissenslücken der Schüler bezüglich der Geschichte anderer europäischer Länder, zurück. Eine dennoch mögliche und wirksame Einbindung neuer Forschungsergebnisse in Schulbücher oder den Schulunterricht sieht der Referent nur dann, wenn sie mit transnational europäischen, globalen oder regionalen Schwerpunkten in Beziehung gesetzt werden. Als Beispiele hierfür nannte er die Regionalgeschichte Oberschlesiens, die Teilung des europäisch-multinationalen Staates Polen-Litauens, der Einfluss westlicher Populärkultur auf die polnische Alltagsgeschichte vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ oder die Erwerbs-, Pendel- und Aussiedlungsemigration vieler Polen als Beispiel globaler Migrationsströme.

Die deutsch-polnische Geschichte sei keine Geschichte der Feindschaft; es gäbe neben dem 2. Weltkrieg auch weitere wichtige Ereignisse und Themen im Zusammenhang mit Polen zu behandeln; dass Polen ein ganz normales europäisches Land sei; die Verflechtungen zwischen Polen und anderen Staaten; dass transnationale oder regionale Perspektiven imstande seien, die nationalen zu brechen, ohne ihre Bedeutung zu leugnen; die sinnvolle Verbindung der Ereignisgeschichte mit der Geschichte zweiten Grades und dass Faktenwissen die Basis einer jeden Beschäftigung mit Geschichte sei – dies waren schließlich die Antworten Dr. Krzoskas auf die Frage, was deutsche Schülerinnen und Schüler über die Geschichte des Nachbarn erfahren sollten.

In seinem Kommentar zu den vorangegangenen Vorträgen warf Dr. Christoph Pallaske, ehemals Lehrer und Wissenschaftler, heute Studienrat im Hochschuldienst für die Didaktik an der Universität zu Köln, zunächst die kritischen Fragen auf, warum Schüler im Geschichtsunterricht etwas über Polen lernen sollen, und was sie dabei überhaupt lernen wollen würden. Probleme sah der Referent aus eigener Erfahrung desweiteren nicht nur bei den Bemühungen, das Primat der nationalen Geschichte zu verlassen, sondern ebenso dem Thema Polen gegenüber der Geschichte anderer Länder, beispielsweise der Türkei, Vorrang zu geben. Auch die Heranführung der Lehrer an dieses Thema, dabei auch der Umgang mit Lehrmaterialien wie den vom DPI herausgegebenen Bänden, müsse in diesem Zusammenhang hinterfragt werden.

Dr. Pallaske brachte jedoch auch einen darüber hinausgehenden Aspekt ins Spiel, nämlich die Frage nach der Nachhaltigkeit des Geschichtsunterrichts, was seiner Meinung nach im Falle einer reinen additiven Wissensvermittlung nur bescheidene Erfolge verspräche. Hierbei knüpfte er an die bereits angesprochenen Möglichkeiten des Herunterbrechens verschiedener Themen, zum Beispiel auf regionale oder biographische Geschichte, an. Mit Blick auf Schüler mit Migrationshintergrund seien hier Anknüpfungspunkte vorhanden, welche das Potential dieser Schüler nutzbar machen könnten.

In der anschließenden Diskussion machten die Tagungsteilnehmer allen voran auf das Problem der Lehrplanvorgaben aufmerksam, die außerhalb der Pflichtthemen kaum Platz für eine etwaige Behandlung polnischer Geschichte ließen. Frau Dr. Kocka wies desweiteren auf den Umstand hin, die Lehrer hätten die Schüler dort abzuholen, wo sie seien. In Anbetracht des mangelhaften Vorwissens sei dies jedoch keine gute Grundlage für jeglichen Unterricht. Auch sie sieht jedoch die Notwendigkeit einer Beziehungsgeschichte, sei diese bi- oder gar multilateral. Auf diese Weise könnten Themen in größere Bereiche zusammengefasst werden, was auch die Möglichkeit der Behandlung polnischer Geschichte geben würde. Derartige Möglichkeiten müssten jedoch die Lehrplanmacher zulassen. Dr. Kneip verwies derweil darauf, dass Schulbücher deutschen Schülern wenigstens Kernwissen über Polen vermitteln müssten, da die Erfahrung zeige, dass hier erhebliche Lücken bestünden. Olga Lewicka stimmte der Relevanz des Fakten- und Grundwissens zu. Es stelle sich jedoch hier die Frage nach der Systematik, denn einen chronologischen Geschichtsunterricht sieht auch sie problematisch. Sie wünsche sich zudem eine stärkere Betonung der Eigenheiten Polens, die es durchaus gebe. Dr. Krzoska entgegnete hier, man müsse diese Eigenheiten durchaus zeigen, polnische Stereotype dürfe man dadurch jedoch nicht fördern. Margarete Sauer vom Max-Planck-Gymnasium Groß-Umstadt widersprach indessen der häufig postulierten Meinung, Schüler seien heute dümmer als früher. Auch sei die Anzahl der Geschichtsstunden trotz G8 gleich geblieben, zumindest in Hessen. Sie sieht vielmehr die Lehrer in der Schuld, die es schaffen müssen, dass Schüler lernen wollen. Prof. Gauger betonte jedoch die Defizite der jungen Studenten, besonders im Hinblick auf Sprachkenntnisse. Bei der Lösung dieser Missstände sei wiederum die Politik gefragt.

Über seine praktischen Arbeitserfahrungen mit dem bereits erschienenen Cornelsen-Band "Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen“ hielt anschließend zunächst Reinhard Konopka vom Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung der Stadt Herne das darauffolgende Kurzreferat, wobei sein Fokus diesmal nicht auf Abiturienten lag. Gleichwohl es an seiner Schule keinen Geschichtsunterricht gibt, ist der Polenbezug aufgrund einer engen und fruchtbaren Partnerschaft mit einer Schule in Olsztyn, der daraus hervorgehenden Zusammenarbeit (z. B. polnische Projekttage, Exkursionen) und schließlich auch dem familiäreren und sprachlichen Hintergrund vieler polnischstämmiger Schüler und Nachfahren polnischer Zuwanderer im Ruhrgebiet intensiv. Die Frage, warum das Thema Polen im Unterricht ein lohnenswertes Thema sei, begründete der Referent zudem mit der verkaufsorientierten Ausrichtung der Schule, die sowohl inhaltlich Kompetenzen und Fremdsprachen, wie auch Kenntnisse der Menschen anderer Länder fördern will. Hierbei hob Konopka den hilfreichen Charakter des Lehrwerkes hervor. Auch erlaube das Buch, an aktuelle Themen anzuknüpfen und einzelne Kapitel dazu herauszugreifen; dies sei ein sehr positiver und hinsichtlich des Unterrichts hilfreicher Aspekt.

Lucas Garske, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut, zeigte in Anlehnung an sein Promotionsvorhaben zur Konstruktion von Raumbildern in polnischen und deutschen Geschichtsschulbüchern Einblicke in einige Unterschiede des Bandes "Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen“ zu konventionellen deutschen Schulbüchern. Neben den offensichtlichsten Besonderheiten, der überwiegenden Beschäftigung mit Quellenmaterialien und der flagranten Fokussierung auf das Thema Polen, wodurch ein Anspruch auf eine globale Perspektive von vornherein ausgeschlossen sei, lag das Interesse des Referenten vor allem auf der Narration und Rhetorik des Buches. Anhand zweier exemplarischer Aspekte, des Kapitels „Polen im Zweiten Weltkrieg“ und einiger allgemeiner gefasster Beispiele, zeigte Garske, dass das in deutschen Büchern gängige Narrativ einer nationalsozialistischen Dominanz und zügigen Unterwerfung Europas durch die Fokussierung auf Polen gebrochen wird und dadurch Raum für eine Betrachtung der konkreten Umstände der Besatzung gibt. Ebenso hob Garske die Darstellung des organisierten polnischen Widerstandes hervor, denen in konventionellen Schulbüchern für gewöhnlich wenig Raum eingeräumt werde, wodurch es dem Buch gelänge, neue Blickwinkel zu zeigen. Zugleich gab der Referent zu bedenken, dass allein durch den Titel „Deutsche und Polen“ eine Rekonstruktion der Gruppenidentität stattfände, mit der Konsequenz, dass dadurch eine Differenz von „deutscher“ und „polnischer“ Sicht nicht nur beschrieben, sondern durchaus auch mit produziert werde, was er jedoch weniger als Manko bewertete, sondern auf eine hervorstechende, sprachliche Problematik zurückführte.

Einen praktischen Zugang zum Thema deutsch-polnische Geschichte präsentierte Hans Harer. Der Lehrer des Gymnasium Corvinianum in Northeim berichtete über das von ihm geleitete Schulprojekt „Vertreibung“. Bei dem über zwei Jahre angelegten Projekt, an dem parallel auch eine Partnerschule im oberschlesischen Prudnik mitarbeitete, führten Schüler in beiden Städten Interviews mit den jeweils dort lebenden deutschen und polnischen Vertriebenen, um die Ergebnisse gemeinsam in Krakau und Kreisau in den historischen Zusammenhang zu stellen und eine Ausstellung zum Projektthema vorzubereiten, die anschließend vier Monate zu besichtigen war. Harer präsentierte in seinem Vortrag die verschiedenen Schritte dieses Projektes, beginnend mit der Suche nach Interviewpartnern, den Presseberichten über die Arbeit der Gruppen, den politischen Widerständen auf polnischer Seite bis hin zur Werbung für die Ausstellungseröffnung. 12 deutsche und 12 polnische Interviews, in übersetzter Kurzfassung abgedruckt auf Plakaten, sowie zahlreich Exponate konnte die deutsch-polnische Projektgruppe schließlich einem breiten Publikum präsentieren. Derartige Projekte, so Harers Schlusswort, seien in Anbetracht des deutschen Bildungssystems zwar nur in Nischensituationen möglich, wenn man die Zeit jedoch suchte, dann fände man sie auch in der Schule.

 

Freitag, 18.11.2011, 13.30 – 15.30 Uhr

Sektion Literatur – Moderation: Matthias Kneip

Die Sektion Literatur eröffnete Dr. Matthias Kneip mit der Vorstellung von Frau Dr. Pflüger von der Robert Bosch Stiftung, die, so Kneip, mitverantwortlich dafür gewesen sei, dass das DPI überhaupt den Zweig Schulbildung eingeschlagen habe. Die in der fast 12- jährigen erfolgreichen Zusammenarbeit entstandenen Projekte seien ohne Unterstützung der Stiftung nicht möglich gewesen. Frau Dr. Pflüger zollte zugleich den Tagungsteilnehmern Respekt, da, wie sie sagte, dieses Gebiet der Völkerverständigung an Schulen kein Muss sei und daher enormes Engagement und eine Portion Idealismus erfordere. Für die RBS sei diese Tagung auch eine Bilanzierung und Evaluierung dessen, was mit der finanziellen Unterstützung der Stiftung in den vergangenen zehn Jahren mit den drei Lehrbüchern, den dazu gehörenden Treffen und Tagungen sowie anderen polenbezogenen Schulprojekten entstanden sei, denn die Förderung im Bereich Schule und Mitteleuropa werde zugunsten anderer Themenfelder eingestellt. Kultur, Medien, Dialog, gesellschaftliches Engagement und politische Bildung seien in Bezug auf Mitteleuropa das künftige Arbeitsfeld der Stiftung. Die Pflege des anwesenden Netzwerks wisse Frau Dr. Pflüger beim DPI jedoch in guten Händen, zumal das DPI plant, hierzu eine Internetseite zu erstellen. Mit besten Wünschen für die Tagung und die Zukunft, sowie Buchgeschenken an die Referenten verabschiedete sich Frau Dr. Pflüger.

„Die Literatur ist ein Fenster, durch welches ein Volk einem anderen in die Augen schauen kann“, zitierte Dr. Kneip Karl Dedecius und leitete damit seinen Vortrag ein, mit dem er zeigen wolle, wie sich der Literaturunterricht eignen kann, um Brücken in die Geschichte und Literatur des Nachbarlandes zu schlagen. Dies sei insbesondere an Schnittpunkten deutscher und polnischer Literatur möglich, wobei Motivvergleiche sowie biographische Verbindungen von Autoren oder fächerübergreifende Ansätze als exemplarische Herangehensweisen gezeigt wurden. Als Beispiel für ersteres könne die polnische Romantik dienen. Hier, so Dr. Kneip, dienten die politischen Verhältnisse ausgehend von den Teilungen Polens als Nährboden für die wichtigste Epoche der polnischen Literatur, der neben der Religion die Rolle des Stammhalters des polnischen Nationalbewusstseins zufiele. Zugleich liege hier jedoch die Ursache dafür, dass die polnischen Vertreter dieser Epoche unter den Schülern hierzulande größtenteils unbekannt seien, da, man nehme als Beispiel „Pan Tadeusz“, das Verständnis dieser Literatur Kenntnisse der polnischen Geschichte jener Zeit voraussetze. Als Beispiel für eine biographische Herangehensweise führte der Referent E.T.A. Hoffmann an, der als preußischer Beamter in Warschau, damals eine preußische Provinz, tätig war. Fächerübergreifend könne man beispielsweise sowohl Polenlieder als auch Kellers „Kleider machen Leute“ heranziehen. Beides erlaube einen hervorragenden Brückenschlag zwischen Literatur und Geschichtsunterricht. Derartige Beispiele gäbe es auch für spätere Epochen, so auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, man nehme Günter Grass,Wolfgang Borchert oder Günter Eich einerseits, Tadeusz Różewicz oder Czesław Miłosz andererseits, mit denen Schüler - ausgehend von Autoren, ihren Romanen oder Gedichten - derartige naheliegende Brücken begehen könnten. Hierfür bedürfe es jedoch Motivationsarbeit seitens der Lehrer, damit die Schüler in die „schönen Augen des Nachbarn“ schauen könnten.

Christopher Wulff vom Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung der Stadt Herne nahm ergänzend dazu ebenfalls die Lehrer in die Pflicht. Die gesamte Beschäftigung mit polnischer Literatur hänge letztlich von ihrer Affinität ab. Zudem sei die Leseerfahrung der Schüler außerhalb der schulischen Pflichtlektüre äußerst begrenzt. Und anhand der Literatur Brücken zu Polen zu schlagen sei zwar durchaus möglich, ebenso jedoch zu anderen Ländern. Eine solche Schwerpunktsetzung obliege jedoch dem Lehrer persönlich. Falle die Entscheidung allerdings auf polnische Literatur, so erweise sich der Cornelsen Band „Polnische Literatur und deutsch-polnische Literaturbeziehungen“ als Fundgrube, insbesondere für Nicht-Slawisten. Weitere praktische Vorzüge biete das Buch mit seinen zahlreichen Möglichkeiten, mit der darin enthaltenen Literatur, Autorenkarte oder seinen verschiedenen Textgattungen, an Unterrichtsthemen verschiedenster Art anzuknüpfen. Kritisch bewertete Wulff allerdings die Arbeitsanweisungen des Lehrwerks, die sehr stark gymnasial ausgerichtet seien, was es anderen Schülern schwer mache, die dort beabsichtigten Verbindungen herzustellen. Dennoch werde der Band, für den er sehr dankbar sei, vom Referenten vielfach eingesetzt.

Die Gabriele-von-Bülow-Schule in Berlin gehört zu den wenigen Schulen Deutschlands, die Polnischunterricht bis zum Abitur anbietet und dementsprechend deutsch-polnische Beziehungen pflegt. Polnische Literatur, Geschichte oder Kunst sind dort daher häufige Unterrichtsthemen. Über die dortigen Erfahrungen mit dem Lehrbuch „Polnische Literatur und deutsch-polnische Literaturbeziehungen“, welches von vielen Kollegen sowohl in der Mittel- als auch in der Oberstufe, insbesondere aber in der 11. Klasse eingesetzt wird, referierte die Oberstufenkoordinatorin der Schule, Monika Sprenger. Das Buch sei dahingehend eine große Bereicherung, da es mit seiner Anwendung grundlegende Inhalte vermittle und somit fachspezifische Kompetenzen geschult werden könnten. Exemplarisch zeigte die Referentin anhand zweier Beispiele, wie einzelnen Einheiten und Materialien aus dem Lehrwerk, welches aus ihrer Erfahrung gelungen und methodisch ausgezeichnet aufbereitet sei, hilfreich in den Unterricht integriert werden oder gar als Ausgangspunkt für Projekte dienen könnten. Insbesondere die Auswahl polnischer Literatur sowie die Auflistung namhafter deutscher Schriftsteller und deren Werke, in denen sich diese mit polnischen Themen beschäftigt haben, sei eine sinnvolle Ergänzung des Deutsch- und Geschichtsunterrichtes.

Ilja Döbber, Referendar in Merseburg und Doktorand an der Universität Halle, ging in seinem Vortrag Empfehlungen und kritische Anmerkungen zur Gestaltung und Weiterentwicklung des Lehrwerks „Polnische Literatur und Deutsch-Polnische Literaturbeziehungen“ zunächst auf den marginalen Bekanntheitsgrad polnischsprachiger Autoren in Deutschland ein. Bezüglich des Lehrwerks empfahl Döbber ein verstärktes Einbeziehen von Deutschland und den Deutschen in der polnischen Literatur. Didaktisch seien zudem die Anonymisierung polnischer Texte, die Berücksichtigung handlungs- und produktionsorientierter Aufgabenstellungen sowie die Möglichkeit, Schüler Textbausteine zusammenlegen zu lassen oder Texte weiterschreiben zu lassen, methodische Kniffe, die Schüler in die Thematik einzuführen.

Anhand der Buchvorstellung des DTV-Bandes „Lektura dla początkujących = Erste polnische Lesestücke“ stellte Jolanta Wiendlocha-Licht, Übersetzerin und Lehrerin für Latein und Geschichte, ihrerseits sehr schonende Möglichkeiten vor, wie man deutsche Schüler an polnische Literatur heranführen könne. Das Interesse für derartige bilinguale Anfängerstücke sei ihrer Erfahrung nach hierzulande durchaus vorhanden. Gleichwohl es nicht für diesen Zweck gedacht sei, eigne sich das von ihr vorgestellte Buch durchaus für den Schulunterricht. Anhand erster Lesestücke bieten die abgedruckten Gedichte beispielsweise Möglichkeiten für eine Grammatikeinführung, der Erarbeitung kleinerer Wortfelder und Dialoge. Die Kurztexte und Sagen des Bandes bieten ebenso Einblicke in die Geschichte des Landes wie auch in Sitten und Bräuche. Aufgaben zur visuellen Umsetzung von Texten seien anhand des Buches ebenso für den Unterricht denkbar wie die darin abgedruckten polnischen Zungenbrecher, Sprichwörter oder Rätsel. Als weitere Möglichkeit böten sich auch literarische Vergleiche wie beispielsweise zwischen Faust und Pan Twardowski an. Die Referentin stellte abschließend nochmals klar, dass das hier vorgestellte Buch kein Schul- oder Unterrichtsbuch sei, es sich jedoch durchaus eigne, es interessierten Kindern nahezulegen oder als Material für den Unterricht zu nutzen.

Als Abschluss der Sektion Literatur machte Dr. Kneip auf das große Problem aufmerksam, dass Polnisch als Fremdsprache an den deutschen Schulen eine Seltenheit sei, wodurch das Grundwissen über das Land – man vergleiche dies mit dem Englisch- oder Französischunterricht – nicht in gleichem Maße verbreitet sei wie im Falle der anderen Sprachen. Anschließend wurde zudem auf die großzügige Unterstützung und Zusammenarbeit des DPI mit dem Cornelsen-Verlag aufmerksam gemacht, der auch bei dieser Tagung den Teilnehmern die Möglichkeit gab, die gemeinsam produzierten Bände „Polnische Literatur und deutsch-polnische Literaturbeziehungen“ sowie „Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen“ zu einem günstigeren Preis zu erwerben. Zusätzlich bekommen alle Teilnehmer der Tagung ein Exemplar des neuesten Bandes „Polnische Gesellschaft“ als Geschenk des Cornelsen Verlagen zugesandt, sobald dieser erschienen ist.

Zuletzt kam aus dem Plenum die Frage, inwiefern die in den Vorträgen geschilderten Erfahrungen weiter- oder zusammengetragen würden. Monika Sprenger nannte hierzu die polnische Koordinatorin in Berlin, Frau Dr. Garska, mit der man regelmäßig in Kontakt stehe, wenngleich es sich dabei nicht um eine Art Erfahrungsnetzwerk handele. Ein Großteil der Arbeit bliebe daher für die breite Öffentlichkeit jedoch unsichtbar. In diesem Zusammenhang wurde auf Koordinationstreffen des DPJW in einzelnen Bundesländern aufmerksam gemacht, woran jedoch leider nicht alle Schulen teilnehmen. Andrzej Koliński vom Polnischen Institut Düsseldorf erwähnte die Übersetzung polnischer Musik- bzw. Hip-Hop-Texte als eine weitere Methode, Jugendliche für diese Themen zu interessieren, eine Erfahrung, die auch andere Tagungsteilnehmer bestätigten.

 

Freitag, 18.11.2011, 16.00 – 18.00 Uhr

Sektion Sozialkunde/Politik/Gesellschaft – Moderation: Andrzej Kaluza

In seinem Vortag „Möglichkeiten der Thematisierung Polens im Politikunterricht“ ging Prof. Dr. Gerd Steffens, Professor für Didaktik der Sozialkunde, erstens auf die Voraussetzungen für didaktisch selbstbewusste politische Bildung, zweitens auf die Anwendung des im Druck befindlichen Lehrwerkes „Polnische Gesellschaft“ sowie drittens auf die Möglichkeiten der Einsetzbarkeit im Rahmen der hessischen Lehrpläne ein. Als Voraussetzungen formulierte Steffens fünf Postulate: Erstens sei es die Aufgabe des Politiklehrers, das Interesse der unterrichteten Heranwachsenden, die in eine Welt wachsen, an der sie selbst interessiert seien, zu teilen. Politik sei darüber hinaus, zweitens, die Form, in der demokratische Gesellschaften sich selbst steuerten, d. h., die Betonung der Partizipation verdiene einen deutlich höheren Stellenwert als Macht- oder Steuerungsaspekte, weil es v. a. um ein Nachdenken und Entscheiden über die Zukunft gehe. Drittens betonte er den Aspekt der Selbststeuerung, da Lernende die künftigen Akteure der Volkssouveränität seien. Die Analyse und Konstruktion des Unterrichts müsse darüber hinaus, viertens, partizipationsorientiert sein, d. h.

sich „diskursiv verhalten“, sich prüfend und argumentierend auf einen Horizont geteilter rationaler Regeln der Geltung beziehen; zum Anderen die „Narrativität“, d. h. die Bedingungen, unter denen Probleme entstehen und verhandelt werden, rekonstruieren. Hinsichtlich des neuen Lehrwerks „Polnische Gesellschaft“ stellte Steffens insbesondere die Frage nach der Blicköffnung auf die Welt sowie der Perspektive der Weltwahrnehmung. Ziel sei es, „mit der Gegenwart dieser Welt umgehen“ (Ulrich Beck) zu lernen, d. h. eine kosmopolitische Perspektive im Gegensatz zu einer nationalstaatlichen Zentralperspektive zu entwickeln. Dem Lehrwerk gelänge dies durch eine Doppelperspektive, den ständigen virtuellen Dialog mit einem deutschen Schülerrezipienten, wobei die Autoren durch ihre Kenntnis Polens bereits im Vorfeld mögliche Fragen antizipierten und beantworteten. Durch diese dialogische Anlage sei das Lehrbuch spannend gestaltet, die Texte seien überwiegend interessant gewählt und böten einen roten Faden aus potentiellen deutschen Fragen an Polen. Durch die dezidierte Entscheidung für den Titel „Gesellschaft“ habe man sich für ein „Kollektivsubjekt“ und gegen die ausschließliche Betrachtung der politischen Klasse entschieden. Neben der Abgrenzung von der Alternative „Gemeinschaft“ gehe diese Wahl deutlich über eine komparatistische Perspektive des bloßen Vergleichs politischer Systeme hinaus und stelle vielmehr die Frage nach „möglichen Lebensweisen in dieser Welt“.

Der Vergleich zwischen Deutschland und Polen sei mehr als ein Spiegel, vielmehr eröffne er den europäischen und weltpolitischen Kontext. Habe nun hier die partizipatorische Perspektive den Vorrang? Die Veränderungen in der polnischen Gesellschaft zwischen 1980 und 1990 als „Selbstartikulation“ und „Ergreifung des Wortes“ seien exemplarisch als „Selbstentdeckung von Gesellschaft“ als handelndem Subjekt zu verstehen und böten daher zahlreiche Anknüpfungspunkte. Die Frage der Partizipation ließe sich insbesondere auch in dem Kapitel zur Transformation anhand der Materialauswahl sowie der Themen Wahlbeteiligung und Schwäche der Zivilgesellschaft nach 1990 diskutieren. Hinsichtlich der Selbstverständigungsdiskurse lasse sich das Kapitel „Konflikte und Debatten“ anführen, das entlang zentraler Diskurse Perspektiven entfalte und dabei Fragen nach der Bewertung des Kommunismus, der Transformation und der Beziehungen zu den Nachbarstaaten aufwerfe. Anhand der Transformationsfrage lasse sich auch über die Polarisierung und Orientierung der Medien diskutieren. Im Hinblick auf Diskursivität und Narrativität würfen diese verschiedenen Kontroversen die Frage nach den zugrundeliegenden Ursachen auf und böten die Möglichkeit, durch die Rekonstruktion der Entwicklung gegenwärtiger Probleme den geschichtlichen Zusammenhang zu erschließen, da jedwede Deutungsmodelle ohne historische Erklärung zum Scheitern verdammt seien. Die hessischen Lehrpläne seien zunehmend partizipatorisch orientiert und ließen relative Freiheit, sodass ein Einsatz des Lehrwerkes z. B. beim Thema „europäischer Einigungsprozess“ denkbar sei.

Jürgen Kalb, Lehrer am Ferdinand-Porsche-Gymnasium in Stuttgart sowie geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift "Deutschland und Europa" der Landeszentrale für Politische Bildung in Baden-Württemberg, ging in seinem Vortrag „Europa im Politikunterricht. Kontroversität als Grundprinzip der politischen Bildung“ auf die Behandlung Polens im Unterricht und den Gemeinschaftskundeunterricht in Baden-Württemberg sowie Möglichkeiten der Multiperspektivität im Unterricht und Beispiele der Umsetzung ein. Die Polenthematik könne z. B. in den themenaffinen Fächern Geschichte und Geographie, im Rahmen von Schüleraustausch und meist historisch motivierten Studienfahrten, Comenius-Projekten sowie Planspielen und Schülerreferaten behandelt werden. Im Baden-Württembergischen Gemeinschaftskundeunterricht böte sich diese Möglichkeit unter dem Oberthema „Die Zukunft Europas und der EU“ an. Generell sei das Ziel eine Multiperspektivität und damit eine Überwindung der nationalstaatlichen Perspektive. Hier könne Polen als (eine) Vergleichsfolie dienen. Thematische Vergleiche könnten sich u.a. in den Bereichen Ökonomie (Sektoren, Energie, Euro-Nicht-Euro-Staaten, EU-Subventionen), Gesellschaft (Sozialstruktur, Migration) oder Politik (Partizipation und Demokratie, nationale Souveränität und transnationale Regulierung der EU) anschließen. Als Beispiele der Thematisierung führte Kalb das „Demokratiebarometer“ zur „Vermessung ‚freier Gesellschaften‘“ an (www.democracybarometer.com). Demokratiequalität werde hier anhand der Prinzipien Freiheit, Kontrolle und Gleichheit, die jeweils in weitere Funktionen unterteilt würden, beurteilt. Die Ausgangsfrage nach den Ursachen für ein niedriges Ranking Polens im Demokratiebarometer gebe Anlass zur Hypothesenbildung mit Schülern, mit dem Ziel einer (kontroversen) Beurteilung der Beteiligten und deren Begründung(en). Thematisieren könnte man in diesem Zusammenhang die Akzeptanz und Legitimierung des politischen Systems, Partizipation und Partizipationsbereitschaft, die ökonomische Situation und gesellschaftliche Entwicklung sowie die Entwicklungschancen in der EU. Kalb illustrierte anhand einiger aus dem Lehrbuch „Polnische Gesellschaft“ ausgewählter Materialien (z. B. Vertrauen in Institutionen, Aussagen zum politischen System, Einstellungen zur Demokratie, Wahlergebnisse, Stadt-Land-Verteilung der Stimmen, Normen der Parteien, etc.) die Anwendbarkeit des Lehrwerkes in diesem Bereich. Weitere Materialien stellten die u. a. in der Zeitschrift „Deutschland & Europa“ erschienenen polnischen Karikaturen dar, darüber hinaus Statistiken zu Migration, Jugendarbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum sowie eine aus dem Lehrwerk entnommene Karte zur geographischen Verteilung der Armut. Nach dieser Beschäftigung könne es zu einer Überprüfung der Hypothesenbildung mit den Schülern und einer Urteilsbildung kommen. Politische Urteilsbildung zeichne sich nach dem „Beutelsbacher Konsens“ der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg durch 1. das Überwältigungsverbot, 2. die Abbildung kontroverser Debatten auch im Unterricht sowie 3. die Möglichkeit des Schülers, eine politische Situation und die eigene Interessenlage zu analysieren und bewerten. Wichtig sei die Herausbildung von „Beurteilungskriterien“: erstens Effektivität, d. h. Problemlösekompetenz in den Bereichen Ökonomie, Gesellschaft, Politik sowie zweitens Legitimität, d. h. die Frage nach der Begründung von Lösungen, auch im Hinblick auf Allgemeinwohl vs. Sonderinteressen.

Bei der anschließenden Diskussion gab Thomas Strobel zu bedenken, dass das Demokratiebarometer als Anknüpfungspunkt ohne Kontext und Hintergrundwissen wenig geeignet sei, weil es auf eine gewisse Art eine Höherrangigkeit des deutschen politischen Systems suggeriere. Als Anknüpfungspunkt schlug er die Entwicklung der polnischen Wirtschaft vor. Markus Krzoska wies darauf hin, dass die konkreten Zahlen des Datenmaterials sich sehr schnell veränderten und daher ein aktueller Abgleich im Internet unumgänglich sei. In Polen herrsche ein anderes Politikverständnis, so Dr. Olga Lewicka, Politik gelte als dreckig. Sie regte daher eine Auseinandersetzung mit dem Politikbegriff und der Frage der Partizipation an. Kalb plädoyierte für den Mut, den „Finger auch in die Wunde“ zu legen. Abschließend mahnte Dr. Zbigniew Wilkiewicz die zwingend notwendige Kontextualisierung durch historisch-politische Bildung an.

Karl-Heinz Holstein, externer Mitarbeiter des Cornelsen-Verlags, bezeichnete die Trilogie der drei Lehrwerke als beispiellos. Insbesondere die Struktur des Gesamtwerkes habe sich sehr bewährt. Es handele sich um kein Schulbuch im klassischen Sinne, sondern böte die Möglichkeit, aus dem Angebot wirkungsvoll und effektiv auszuwählen. Die Schwierigkeit, Interesse zu wecken, bleibe jedoch bestehen. Die Graphiken und Ausführungen zum politischen System blieben vielmehr der politischen Bildung des Lehrers vorbehalten. Insgesamt zeigte sich Holstein sehr zufrieden, dass der Schwerpunkt auf „Gesellschaft“ und nicht auf dem politischen System läge, da dies Chancen der selbstständigen „Weltentdeckung“ böte.

Anschließend betonte Dr. Olga Lewicka von der Universität Potsdam in ihrem Beitrag zu „Landeskunde im Polnischunterricht“ die Wichtigkeit von Stereotypen und ihrer Dekonstruktion. Die Begriffe „Aussöhnung“ und „Brücken schlagen“ müssten inhaltlich gefüllt werden. Darüber hinaus mahnte sie an, dass man Polen als Land ernst nehmen sollte, bei aller humoristischen Betrachtung, bestünde dennoch eine sehr lange demokratische Tradition, die sich z. B. in der Offenheit der Aufklärung und der Verfassung von 1791 verdeutlichte. Wichtig sei es, so Lewicka, die nationalstaatlichen Kategorien und Identitäten zu überwinden und als Didaktiker maximal zu individualisieren. Studierende der Kulturwissenschaft sollten Bezogenheiten verstehen. Dies gelänge jedoch nur, wenn dem prozeduralen Wissen auch deklaratives Wissen folge. Ersteres sei vor allem als Anwendung des deklarativen Wissens zu verstehen; das Ziel sei Handeln im Wissen um Kultur. Innerhalb der Fremdsprachendidaktik spielten landeskundliche Aspekte eine große Rolle, jedoch sei das theoretische Vorwissen oftmals sehr gering. Im Hinblick auf prozedurales Wissen unterschied Lewicka drei Problembereiche: erstens die sozio-kulturelle Kompetenz im Vollzug (d.h. sprachlich), zweitens nonverbale Gestik und Mimik, drittens gesellschaftliche Rituale. Erstere beinhalte ritualisierte Muster verbalen Kontaktes sowie ihre Pragmatik im Kontrast zu deutschen Gewohnheiten. Nonverbal bezöge sich v. a. auf Berührungen, Blickkontakt, Lautstärke u.ä., wohingegen letztere z. B. das Verhältnis öffentlich-privat, Reaktion auf Komplimente, Tabuthemen, Stereotype u.ä. thematisierten. Im Bereich des deklarativen Wissens stünden Geographie, Geschichte und Gesellschaft anhand von Beispielen im Vordergrund. Wichtig seien hierbei insbesondere die Geschichte des 19. Jahrhunderts, der VRP und der III. Republik sowie nationale Identitäten, die Rolle von Religion, etc.; darüber hinaus die Bereiche Politikverständnis, Polen in der EU, Populärkultur Stadt und Land, Polen im Ausland und Ausländer in Polen. Ihre Studierenden seien immer auch Botschafter der Sprache, so Lewicka, und stünden komplexen Anforderungen gegenüber.

 

Freitag, 18.11.2011, 20.00 – 21.30 Uhr

Podiumsgespräch „Polen im Schulunterricht. Bilanz und Ausblick“

Moderation: Dr. Peter Oliver Loew (DPI), Gäste: Dr. Urte Kocka (Didaktik der Geschichte/FU Berlin), Dr. Markus Krzoska (s. o.), Jürgen Kalb (s. o.)

Mit der schlichten Frage, was man selber aus der eigenen Schulzeit über Polen mitgenommen habe, eröffnete Dr. Peter Oliver Loew die Podiumsdiskussion, an der Dr. Urte Kocka, Jürgen Kalb sowie Dr. Markus Krzoska teilnahmen. Er selber könne diese Frage mit „nichts“ beantworten, worauf unter anderem aber sein späteres Interesse an diesem Land zurückzuführen sei. Dem schloss sich Frau Kocka an, Geschichte sei damals nur bis 1918 behandelt worden. Der Einstieg und das Interesse am Zweiten Weltkrieg und besonders dem Überfall auf Polen hätten erst an der Uni begonnen. Ähnliche Erfahrungen machte Herr Kalb. Polen sei vielleicht beim Thema Bismarck vorgekommen, mehr nicht. Als Abiturient des Jahres 1972 sei er im Zuge der damals unterzeichneten Ostverträge empört gewesen, dass das Thema Polen derart marginalisiert worden sei. Als Nachfahre einer aus dem Sudetenland vertriebenen Großmutter und als Student der Osteuropäischen Geschichte in Tübingen habe er sich jedoch zwangsläufig mit dem Thema auseinandergesetzt. Für Markus Krzsoska seien Polen und der Zweite Weltkrieg an einem traditionellen humanistischen Gymnasium in Hessen ebenfalls kein Thema gewesen. Sein Interesse an Osteuropa sei vielleicht aus Trotz gegenüber einer Nicht-Thematisierung in Familie und Schule entstanden. Jedoch bemerke er seit 1990 ein vermehrtes Interesse an Polen.

Resümierend stellte Dr. Loew fest, Polen sei damals in keinem Bundesland ein Thema gewesen. Heute jedoch gäbe es hierzu ausreichend Publikationen und Polen fände auch Eingang in Lehrpläne. Daher stellen sich die Fragen nach der Rolle, die Polen im deutschen Schulunterricht spielen könne und solle sowie nach den dazugehörigen Materialien und den daraus resultierenden Möglichkeiten. Urte Kocka wies bei der Frage nach der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Schulgeschichtspraxis auf das neue Gebiet der Globalgeschichte innerhalb der Geschichtsforschung hin. Zeitgemäß und unumgänglich sei es, Geschichtsunterricht beziehungs- und verflechtungsgeschichtlich – auch binational – zu gestalten und auf Interdependenzen einzugehen. Die Geschichte einzelner Länder dürfe nicht als separate Nationalgeschichte betrachtet werden, sondern diese müsste als Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte in Beziehung gesetzt werden. Geschichtsunterricht solle v. a. Orientierung in der Welt bieten und mündige Bürger heranziehen, die zu den Problemen von heute die Geschichte befragten. Themen, die sich hier anböten, seien z.B. Migration oder die Industrialisierung des Ruhrgebietes. Sehr wichtig sei es, Raum neu zu thematisieren, hier sei die Rede vom „spatial turn“. Anhand der deutschen und polnischen Grenzen lasse sich zeigen, wie Grenzen Räume ändern, wie sich diese z. B. im Mittelalter, als es keine festen Räume gab, im 18. Jahrhundert sowie nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg geändert hätten. Dieser Ansatz sei richtig, so Kalb. Die Fülle der Themen überfordere jedoch manche Lehrer, weshalb diese sich in die nationale, bekannte Perspektive zurückziehen würden. Die EU bestünde aus 27 Mitgliedsstaaten, man müsse daher zu allen Bezüge herstellen. Den Lehrern müsse hierbei also geholfen werden, indem man ihnen zeige, wo und wie sie die nationale Perspektive verlassen könnten. Die Bücher vom DPI seien eine solche Hilfe. Sie bräuchten bei gewissen Themen, wie eben Polen, derart gezieltes Schulmaterial.

Könne dies für einen Polenhistoriker befriedigend sein, wenn Polen immer nur punktuell behandelt werde, fragte Loew anschließend Krzoska. Dies sei wünschenswert, aber realitätsfern, antwortete Krzoska. Man müsse zunehmend andere Fragestellungen entwickeln, die statt nationaler Kategorien europäische und globale betonten. Das Wissen im Bezug auf Polen sei in Öffentlichkeit und Schule sehr gering. Man müsse dies durch stärkere Einbettung ändern und durch regionale und lokale Perspektiven einen konkreten Bezug zum Lebensalltag herstellen. Im Hinblick auf den Medieneinsatz merkte Krzoska an, dass sich sowohl die Medienrezeption als auch die pädagogische Arbeit verändert hätten. Da die Medienkompetenz der Schüler die der Lehrer übersteige, brauche man neue Strategien der Umsetzung in Wissenschaft und Schule. Anschließend fragte Dr. Loew Frau Dr. Kocka, ob die bereits vorhandenen Lehrwerke ausreichend seien oder ob es vielmehr neuer Werke, aber ebenso neuer Methoden, beispielsweise Lehrwerkverflechtungen, bedürfe. Hilfreich sei es, übergreifende Fragen zu stellen, unter denen bestimmte Themen behandelt werden könnten sowie im Internet dazu Materialien mit Erklärungen bereitzustellen. Woran es fehle, sei eine Skala derjenigen Probleme, die von Jugendlichen als dringend empfunden würden, um Interesse zu wecken. Für die Beschäftigung mit Verflechtungen und verschiedenen Perspektiven bedürfe es zusätzlicher Materialien. Lehrwerke, fügte Kalb hinzu, seien aus Kostengründen immer Kompromisse. Leistungskurse hätten beispielsweise keine eigenen Bücher. Aus seiner Sicht seien neue Materialien daher Pflicht. Zwar gäbe es beispielsweise bereits bestimmte Französischbücher. Hier sei es jedoch durchaus sinnvoll, weil diese Sprache auch unterrichtet werde. Herr Kalb machte hierbei auf Projekte aufmerksam, bei denen Materialien aus dem Netz didaktisch verlinkt und aufgearbeitet würden. Auf diese Weise könnten (audio-) visuelle Medien für Schulen nutzbar gemacht werden, auch polnische, beispielsweise durch die Bearbeitung mit Untertiteln. Derartige Ideen seien toll, zugleich jedoch kostenintensiv, was sie ohne Sponsoren unmöglich mache. Hinsichtlich des deutsch-französischen Schulbuches merkte Urte Kocka an, dass viele Themen in europäischer Perspektive aufbereitet seien und Deutschland und Frankreich in der Welt beträfen. Das deutsch-polnische Geschichtsbuch müsse fraglos ins Europäische und Globale erweitert werden.

In diesem Zusammenhang ging der Moderator auf Dr. Krzoska und seine Plattform „Polhist“ ein, und fragte nach dessen Urteil, ob eine Schulplattform mit polenbezogenen Inhalten denn vorstellbar sei. Hier stelle sich die Frage nach Aktualitätsgrad und der tatsächlichen Nutzung durch Pädagogen, so Krzoska. Seiner Meinung nach habe das gedruckte Schulbuch keine lange Zukunft und es bedürfe daher neuer Formen. Man müsse sich jedoch Gedanken über Qualitätssicherung und Rechte machen. Ein Problem sah Kalb gerade hinsichtlich der Rechte im Internet, insbesondere bei Bildern, die sehr kostenintensiv seien. Es gebe allerdings, laut Krzoska, bereits gemeinfreie Bilddatenbanken. Eine solche Plattform könne funktionieren, wenn sie sich nicht ausschließlich auf Polen beschränke, sondern supranational und eher themenorientiert (z.B. Migration oder Zusammenleben an Grenzen) ausgerichtet sei. Dr. Loew fragte weiter, wie man eine solche Plattform nennen müsse, und schlug selbst „Verflechtungsgeschichte für die Schulen“ vor. Kalb votierte für www.europa-im-internet.de.

Diskussion

Dr. Loew eröffnete nun die Diskussion und fragte das Publikum nach ihren Erfahrungen und Meinungen, was man für einen guten Unterricht brauche, abgesehen von motivierten Schülern, Lehrern, entsprechendem Material oder den Möglichkeiten der Lehrpläne. Auch sei zu fragen, wie die Anwesenden die Möglichkeiten des Internets für den künftigen Unterricht beurteilten, und ob es gar irgendwann das klassische Buch ersetzen könne. Dr. Zbigniew Wilkiewicz fügte zunächst an, man müsse den nationalen Code im Unterricht in Beziehungsgeschichte umwandeln. Das Problem bestünde darin, dass Schule eine Zwangsinstitution sei, in der alles vorgeschrieben werde. Eine Lösung dieses Problems sehe er daher in einer verstärkten Kooperation von Schulen und außerschulischen Institutionen, eine Symbiose, bei der alle gewinnen würden. Dadurch, dass die Lehrpläne relativ offen seien, böten sich viele Möglichkeiten, man solle hier auch weiterhin auf eine offenere Gestaltung hinwirken. Die Orientierung an Kompetenzen sei gut, da so Urteils- und Interpretationsfähigkeit gefordert würden – all dies sei im beziehungsgeschichtlichen Kontext wichtig.

Agnieszka Kormann äußerte sich derweil dahingehend, dass die Lehrer die modernen Medien nutzen müssten, um zugleich den Schülern zu zeigen, wie sie es selbst nutzen könnten. Auch meinte sie, Polnisch als Fremdsprache müsse an den Schulen verstärkt unterrichtet werden. Prof. Jacobmeyer sah in der Frage nach dem Internet eine Prognosefrage. Wenn das Internet künftig Vorteile für den Unterricht bieten werde, so würden diese auch automatisch genutzt werden. Die Besonderheit sei, dass hierbei die Schüler die Pioniere seien, die Lehrer Nutznießer. Als Politiklehrerin sieht indessen Astrid Schrobsdorff ohnehin keine Möglichkeit, an Polen vorbeizukommen und beurteilte den Sachverhalt in dieser Hinsicht damit optimistischer als andere TagungsteilnehmerInnen. Auch das Internet sei mittlerweile unerlässlich für den Politikunterricht. Das Problem sei dabei jedoch, dass Schüler nicht die guten und brauchbaren Seiten besuchen würden. Dr. Kneip merkte ein weiteres Mal an, dass das Grundwissen über Polen unter den SchülerInnen fehle. Die Diskussion um einen multilateralen Unterricht aufgreifend wolle er dazu provokant fragen, ob eine nationale Sichtweise nicht der erste Schritt sein müsse, um ein gewisses Niveau an Wissen zu erreichen, bevor dann in einem zweiten Schritt internationale Verflechtungen folgen könnten. Auch müsse man die generelle Frage stellen, ob man nicht vielleicht zu viel wolle.

Es ginge generell auch um weltanschauliche Fragen, so Krzoska. Angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts hätten nationale Denkweisen keine Chance mehr. Multiperspektivität sei kein Zeitproblem, man könne dies unter einem bestimmten Thema kombinieren und dadurch Vielfalt deutlich machen, so z.B. im Hinblick auf die Umbrüche 1989, indem man polnische, deutsche und tschechische Geschichte parallel behandele. Wissen sei notwendig, fügte Frau Kocka an, es werde jedoch nur in größeren Zusammenhängen nachhaltig erworben. Ein bestimmtes Grundwissen und bestimmte Kategorien wie z. B. Nation oder Staat seien unumgänglich, Wissen werde jedoch am besten über Probleme erschlossen. Kalb sah unterdessen zwei unterschiedliche didaktische Ansätze: Zum einen den älteren Ansatz, der zuerst auf das Faktenwissen abziele, dann erst auf das Problemdenken, zum anderen den neueren, bei dem zuerst die Problemorientierung im Vordergrund stünde, um sich dann für Fakten zu öffnen. Letzterer sei es, der Schüler motiviere. Das Internet sei deshalb hierbei nützlich zur Materialbeschaffung, ein Gespräch jedoch etwas völlig anderes. Urte Kocka führte ein Beispiel aus der Praxis an, bei der sich die Frage nach Fakten zur Reichsgründung 1871 fast von selbst über die Fragekette „Welcher Nation bist du? Was ist eine Nation? Was sind Deutsche? Wann war das?“ ergeben hätte.

Für Hartwig Zillmer ist das Internet eine wichtige Hilfestellung, nicht mehr und nicht weniger. Daher sei dort beispielsweise eine Quellenbeschaffung sinnvoll. Von ganzen Unterrichtseinheiten im Netz halte er allerdings wenig. Eine Prognose hinsichtlich der Zukunft des Schulbuches wagte Christoph Pallaske. Seiner Meinung nach sei dies in seiner gedruckten Form nur noch eine Frage weniger Jahre. Durch online abrufbare Unterrichtseinheiten würde das Monopol der Schulbuchverlage zusammenbrechen und jeder Lehrer in der Lage sein, seine eigenen Einheiten ins Netz zu stellen. Die deutsch-polnischen Beziehungen seien indessen seit Jahren auf einem Weg der Normalisierung, was den Reiz von gemeinsamen Projekten und Kooperationen verringern würde. Da in einigen Jahren zudem die europäische Sicht die nationale ohnehin ablösen werde, sieht er die gesamteuropäische Stärke als Leitmittel der Zukunft.

Die Schlussrunde eröffnete Dr. Loew mit der These, Sprachunterricht habe immer einen historischen Kontext, die Nation werde daher so schnell nicht heraus zu bekommen sein. Bei Polen jedoch gäbe es kaum Sprachunterricht, sodass hier womöglich das Vorbild einer Europasicht zu sehen sei. Urte Kocka stellte die These auf, dass das Thema der Nation auf lange Zeit nicht verschwinden werde, nationale Gedanken jedoch in Beziehung zu anderen viel glaubhafter seien. Es sei kein Problem, Polen im Geschichtsunterricht zu thematisieren, man müsse es sogar wichtiger machen. Darüber hinaus appellierte sie dafür, besser und nachhaltiger Sprachen im Kontext der jeweiligen Regionen zu lernen. Olga Lewicka stellte hierzu das Modell einer „Funktionalen Mehrsprachigkeit“ vor: Wäre demnach eine Dreisprachigkeit der Normal- beziehungsweise der Idealfall (1. Muttersprache, 2. Englisch, 3. Nachbarsprache), so könne jeder in seiner Muttersprache sprechen. Markus Krzoska schloss sich mit der Forderung nach einem verstärkten Polnischunterricht an. Wichtig seien darüber hinaus die Konzepte von Diskurs und Narrativität, deren Dekonstruktion und Infragestellung ein Mittel gegen Ideologien sein könne. Die Zukunft des Schulbuches sei, im Gegensatz zur Zeitung, nicht vorbei, so Kalb. Pessimistischer war jedoch seine Prognose hinsichtlich des Polnischen als Fremdsprache, da er aufgrund des weltweiten Anstiegs des Englischen hier künftig eine Erosion sehe. Bewahrt werden müsse jedoch die europäische Perspektive, besonders in Anbetracht der Renationalisierungstendenzen in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten. Eine europäische Identität könne hier neben allen Multiidentitäten der EU entgegensteuern. Europa, so Dr. Loew abschließend, sei nicht einfach, aber spannend. Und gerade die deutsch-polnische Geschichte und deutsch-polnischen Beziehungen zeigten exemplarisch dieses Europa im Kleinen: ein verflochtenes Zusammenleben.

 

Samstag, 19.11.2011, 9.00 – 11.00 Uhr

Beispiele aus der Praxis – Kurzpräsentationen – Moderation: Matthias Kneip und Manfred Mack

Das Georg-Eckert-Institut in Braunschweig, an dem Hanna Grzempa als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist, widmet sich der Erforschung von historisch, politisch und geographisch bedeutsamen Darstellungen in Schulbüchern, dem Aufzeigen von Identitätsmustern und der Dekonstruktion von Feindbildern und ist vor allem durch die „deutsch-französische“ sowie „deutsch-polnische Schulbuchkommission“ bekannt geworden. Grzempa präsentierte die Arbeit des GEI exemplarisch anhand dreier Projekte: Erstens wies sie auf die Lehrerhandreichung der gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission Becher/Borodziej/Maier (Hrsg.) – „Deutschland und Polen im Zwanzigsten Jahrhundert. Analysen - Quellen - didaktische Hinweise" hin; Zweitens stellte sie als Beispiel für die regionale Beschäftigung mit einem Geschichtsraum das Projekt „Das „Pruzzenland“ als gebrochene Erinnerungsregion. Konstruktion und Repräsentation eines europäischen Geschichtsraums in Deutschland, Polen, Litauen und Russland seit 1900“ vor; drittens verwies sie auf die sich im Aufbau befindliche mehrsprachige Homepage www.eurviews.eu, deren Ziel die Darstellung verschiedener Konzepte von Europa und Europäizität weltweit in Geschichtsbüchern des 20. und 21. Jahrhunderts sei, um dadurch Vielfalt und Veränderlichkeit deutlich zu machen.

Malte Koppe vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk, „Förderreferat Schulaustausch“ in Warschau, stellte kurz die Fördermöglichkeiten vor, die es im Bereich der deutsch-polnischen Schulbegegnungen gibt. Hierbei betonte er insbesondere den „Begegnungscharakter“ und das „Partnerprinzip“. Darüber hinaus bestünde die Möglichkeit, Förderung für trilaterale Begegnungen, Praktika zwischen vier Tagen und drei Monaten sowie individuellen Schüleraustausch (ISA) für die Dauer von drei bis sechs Monaten bei bereits bestehenden Schulpartnerschaften („Schule auf Polnisch“), Fachkräfteprogramme, Kleinprojekte, Gedenkstättenfahrten, Publikationen u.ä. zu beantragen. Insbesondere wies Koppe auf die Unterstützung von Kleinprojekten „4x1 ist einfacher“ hin, die bis jetzt noch recht wenig genutzt würde. Gefördert werden kleinere Projekte mit Bezug zum deutsch-polnischen Schüleraustausch, die einen Mehrwert für die internationale Jugendarbeit versprechen, so z. B. Blogs, Stadtführer, Miniausstellungen. Die maximale Fördersumme beträgt bei mindestens 10 % Eigenanteil an den Gesamtkosten 1.000€.

Dr. Matthias Kneip und Manfred Mack stellten die Arbeit des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt vor. Neben Tätigkeiten des DPI im Bereich der Forschung, Politikberatung und Organisation von Veranstaltungen zu polnischer Kultur, Geschichte, Politik, Gesellschaft und den deutsch-polnischen Beziehungen bemüht sich das Institut seit mehreren Jahren um eine stärkere Integration polnischer Themen und Informationen zu Polen in den deutschen Schulunterricht. Im Rahmen der von der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekttage „Polen in der Schule“ erhalten Schüler und Schülerinnen in Hessen und Rheinland-Pfalz einen Einblick in polnische Landeskunde, Geschichte, Literatur und Sprache. Angedacht, so Mack, sei in der Zukunft ein Multiplikatorentraining, um dieses Programm auch in anderen Bundesländern anbieten zu können. Darüber hinaus habe das DPI mit dem letzten Band „Polnische Gesellschaft“ den dritten und letzten Teil der Unterrichtsmaterialien (1. Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen, 2. Polnische Literatur und deutsch-polnische Literaturbeziehungen) abgeschlossen. Es gebe aber desweiteren inzwischen ein Lehrwerk für Polnisch als 3. Fremdsprache an Gymnasien sowie die Wanderausstellungen „Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen“, die sich nach wie vor großer Nachfrage erfreute und inzwischen auch ins Polnische übersetzt worden sei sowie die Ausstellung „Das Phänomen der Solidarność“.

Anschließend berichtete Agnieszka Korman, Koordinatorin der Ziel3-Projekte am Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz, über deutsch-polnische Projekte und Schulkooperationen im Grenzbereich. Das „Koordinierungsbüro der Ziel3-Projekte der Sächsischen Bildungsagentur“ in Görlitz hat es sich zum Ziel gesetzt, die deutsch-polnische Zusammenarbeit im Bildungsbereich zu vertiefen, die grenzübergreifende Vernetzung von Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen in Deutschland und Polen zu unterstützen, sprachliche und interkulturelle Kompetenzen bei Lehrern und Schülern zu fördern, innovative Bildungsformate für Lehrer im deutsch-polnischen Grenzgebiet zu entwickeln, eine grenzübergreifende regionale Identität und ein gemeinsames Geschichts- und Kulturbewusstsein zu stärken sowie negative Stereotypen abzubauen. Zu diesem Zweck werde der Aufbau von grenzübergreifenden Schul- und Schülernetzwerkprojekten, die Erarbeitung vielfältiger Lehrmaterialien sowie Lehrerfortbildungen forciert. Entstanden seien z.B. im Rahmen des Projektes „Bürger für die Freiheit. Zivilcourage gegen Diktaturen. Sachsen und Niederschlesien 1945-1989“ (Laufzeit September 2009-August 2012) durch die Zusammenarbeit von Autoren, Didaktikern, Wissenschaftlern, Lehrern und Schülern Ergebnisse auf mehreren Ebenen: eine Publikation „DDR-VRP- Zivilcourage in totalitären Regimen“, aufbereitende didaktische Materialien sowie eine durch Workshops für Lehrer, Schüler und Geschichtslabore vorbereitete Ausstellung „Unsere Großeltern: Görlitz-Zgorzelec 1945-1989“. Darüber hinaus gebe es an mehreren deutschen und polnischen Schulen im Grenzbereich das Projekt „Inter-Kulturmanagement in sächsischen und niederschlesischen Schulen“,

Dr. Zbigniew Wilkiewicz vom Gesamteuropäischen Studienwerk e. V. in Vlotho, einer Bildungs- und Begegnungsstätte in freier Trägerschaft für Jugendliche und Erwachsene aus West-, Mittel- und Osteuropa, betonte die Wichtigkeit eines „emphatischen und multiperspektivischen Erinnerns“, das sich besonders gut am Beispiel von Erinnerungsorten erarbeiten lasse. Im Rahmen von Seminaren, Tagungen und internationalen Begegnungen solle zu einer lebendigen und aktiven Auseinandersetzung mit den aktuellen Fragen der europäischen Integration angeregt werden. Bei der Zusammenarbeit in gemischten Gruppen spiele immer auch Gegenwart und Zukunft eine wichtige Rolle, so umgesetzt z. B. bei der „Zukunftswerkstatt Europäische Einigung“. Wilkiewicz verwies abschließend auf die vom Studienwerk herausgegebenen „Ostinformationen“.

Andrzej Koliński vom Polnischen Institut in Düsseldorf stellte den seit 2005 stattfindenden Projekttag „Pole Position“ vor, der SchülerInnen weiterführender Schulen in NRW ab der 10. Klasse die Möglichkeit bietet, sich ganztägig kostenlos im Polnischen Institut über Polen zu informieren und/oder sich auf einen Austausch mit einer polnischen Schule vorzubereiten. Das Projekt beruht auf einer Kooperation mit dem Bildungsministerium NRW, dem Seminar für Geschichte und Kulturen Osteuropas der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und dem Institut für Slavistik an der Ruhr-Universität Bochum. Programmpunkte sind ein Crashkurs deutsch-polnische Geschichte, die Beziehungen Polen-Deutschland-EU, ein Schnupperkurs-Polnisch sowie polnische Landeskunde.

Stephan Müller und Tina-Maria Lesch, Teilnehmer des Modellprojekts des Deutschen Kulturforums östliches Europa „Studenten machen Schule“, haben mit SchülerInnen verschiedener Klassenstufen des Gymnasiums im Stift Neuzelle in Guben/Gubin ein Projekt zum Thema „Steinerne Zeugen in Guben, der einstigen Perle der Niederlausitz und der größten Hutfabrikation Europas, der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben und der Eurostadt im Aufbruch“ realisiert. Während dieses Projektes machten sich die deutschen Schüler mit der Geschichte Gubens/Gubins vertraut, indem sie bei einer Stadtrallye auf historische Spurensuche gingen, Orte auf historischen Fotos finden und abgleichen mussten sowie bei einer anschließenden Recherche in der örtlichen Bücherei und einer Befragung Gubener Einwohner die Fotos in ihren historischen Kontext einordneten. Das Projekt ist im kommenden Jahr als gemeinsame „deutsch-polnische Spurensuche“ geplant.

Dr. Christoph Pallaske, Studienrat im Hochschuldienst am Historischen Institut, Geschichtsdidaktik (Gym/Ge) an der Universität Köln präsentierte das Forschungsprojekt „segu – selbstgesteuert-entwickelnder Geschichtsunterricht“, das der Frage nachgeht, inwiefern sich individuelles und selbstgesteuertes Lernen im Geschichtsunterricht der Sekundarstufen sinnvoll einsetzen lässt (http://www.segu-geschichte.de/). segu ist ein Internet-basiertes Konzept offener Planarbeit, das gleichzeitig eine klare Struktur vorgibt. Nach dem Motto „Du arbeitest selbstständig und entscheidest, was du wann und wie lernst“ soll Schülern mit Hilfe von frei zu wählenden, als pdf auszudruckenden Lernmodulen und mit Unterstützung des Schulbuchs sowie weiterführenden Internetrecherchen eine offene Unterrichtsform angeboten werden.

Daniel Bernsen, Lehrer am Eichendorff-Gymnasium Koblenz und regionaler Koordinator im Landesprogramm "Medienkompetenz macht Schule" am Pädagogischen Landesinstitut, erläuterte die vom EU-Programm Comenius geförderte Lernplattform eTwinning (www.etwinning.net). Diese Plattform böte nach Anmeldung der Lehrkraft Unterstützung beim Finden einer Partnerschule sowie die Möglichkeit zum gemeinsamen Arbeiten, z. B. im geschützten virtuellen Klassenraum „TwinSpace“. Durch die Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus anderen europäischen Ländern oder dem sinnvollen und kreativen Medieneinsatz würden authentisches Fremdsprachenlernen, Toleranz und Verständnis für andere Kulturen bei hoher Motivation gefördert. Für Lehrkräfte stünden zahlreiche unterstützende Angebote zur Verfügung, so z. B. Fortbildungen in Deutschland, im europäischen Ausland oder online, europäische Kontaktseminare zur Partnersuche und Projektplanung sowie ein E-Mail-Beratungsservice.

Victoria Storozenko und Dr. Antje Stork, beide an der Philipps-Universität Marburg tätig, präsentierten ihr Projekt „Abenteuer Polen“ bzw. „POLDI – Interkulturelles Lernen praktisch. Didaktisierung und Erprobung von Lehrmaterialien“. Im Rahmen dieses Projektes sollen Lehramtsstudierende interkulturelle Handlungsfähigkeit für ihren zukünftigen Berufsalltag erwerben, indem sie zusammen mit Studierenden der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań an gemeinsamen Projekten arbeiten, die abwechselnd an den beiden Orten stattfinden. Durch diese Form des erfahrungsbasierten und reflektierenden Lernens in internationalen Kleingruppen sollen die Studierenden darüber hinaus Selbstverantwortung und Eigenverantwortlichkeit erwerben. Im Rahmen dieser Projekte entstanden bisher z. B. Podcasts zu interkulturellen Themen sowie eine Ausstellung zu deutsch-polnischen Erinnerungsorten.

Marcin Wiatr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut, stellte das Projekt "Oberschlesien und sein kulturelles Erbe – Erinnerungspolitische Befunde, bildungspolitische Impulse und didaktische Innovationen" vor. Die Ziele des Projektes seien erstens die erstmalige umfassende Analyse polnischer Geschichtsschulbücher nach 1989 in Bezug auf die Präsenz und Darstellung Oberschlesiens in Politik, Wirtschaft und Kultur; zweitens die diskursanalytische Untersuchung der polnischen Lehrpläne, Bildungsprogramme und -debatten seit 1989, mit denen die Befunde der Schulbuchanalyse (erweitert um qualitative Leitfaden-Interviews) kontextualisiert werden sollten; drittens drei exemplarische Unterrichtsmodule, die Oberschlesien auf der Basis aussagekräftiger Quellen und innovativer didaktischer Erschließung für Lehrer und Schüler (in Polen wie in Deutschland) begehbar machen würden.

 

Samstag, 19.11.2011, 11.00 – 11.45 Uhr

Zum Stand des deutsch-polnischen Geschichtsbuchs

Zum Abschluss der Tagung sprach Thomas Strobel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut, „Zum Stand des deutsch-polnischen Geschichtsbuchs“. Nach der Veröffentlichung des deutsch-französischen Geschichtsbuches im Jahr 2006 fiel der Startschuss für das deutsch-polnische Schulbuch 2008. Das Projekt wird in Deutschland vom Auswärtigen Amt und dem Bildungsministerium Brandenburg sowie auf polnischer Seite vom Bildungsministerium getragen. Neben dem Expertenrat unter Federführung von Prof. Dr. Robert Traba und Prof. Dr. Michael Müller sind das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig sowie das Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław beteiligt. Geplant sei eine vierbändige Schulbuchreihe für die Sekundarstufe I, die in identischer Form in deutscher und polnischer Fassung eingesetzt werden solle. Man orientiere sich inhaltlich an den deutschen und polnischen Lehrplänen und wolle kein Zusatzmaterial, sondern ein reguläres Schulbuch für den Geschichtsunterricht anbieten. Die Herausgabe des ersten Bandes ist für 2014/15 geplant, die folgenden Bände sollen dann im Jahresrhythmus erscheinen. Anliegen der Reihe, so Strobel, sei ein europäischer Ansatz, die Darstellung grundlegender historischer Ereignisse aus verschiedener Sicht, sodass ein Perspektivwechsel möglich werde.

In der anschließenden Diskussion gab Daniel Bernsen zu bedenken, dass er als Französisch- und Geschichtslehrer das deutsch-französische Schulbuch nur additiv einsetze. Der hohe Anspruch eines vollwertigen Lehrbuches könne nur durch exzellente, innovative Materialien begründet werden. Dr. Christoph Pallaske wies darauf hin, dass in NRW in der Sekundarstufe nur dreibändige Geschichtsbücher eingesetzt werden, hiermit also ein potentieller Markt entfalle. Aus Sicht der Geschichtsdidaktik müsse man in diesem Zusammenhang auch die Frage nach bilingualem Unterricht stellen. Eine grundsätzliche didaktische Frage sei es, welchen Mehrwert die Beschäftigung mit frühen Kulturen aus binationaler Sicht biete. Insbesondere die für Europa verbindenden frühen Kulturen gelte es als Gemeinsamkeit zu betonen, so Jolanta Wiendlocha-Licht. In Baden-Württemberg sehe sie Möglichkeiten des Einsatzes zum einen in der Oberstufe in der Projekteinheit „Polen als Nachbar“ sowie in Seminarkursen. Sehr wichtig seien weiterführende Hinweise und Literaturangaben. Die Festlegung auf vier Bände sei u. a. am polnischen Schulsystem orientiert, ein bilingualer Einsatz eher unrealistisch, so Strobel. Wolle man einen regulären Einsatz des Schulbuches, so müsse auch bereits der erste Band eingeschlossen sein und verschiedene Perspektiven bieten. Wenn das deutsch-französische Schulbuch trotz besserer Bedingungen (Französische Institute, bilingualer Unterricht, starker Fremdsprachenunterricht etc.) nicht regulär angeschafft worden sei, warum plane man dann die Herausgabe eines deutsch-polnischen Regelwerkes, das faktisch als Zusatzmaterial benutzt werden würde, fragte Manfred Mack. Es sei auch eine große Chance, ein reguläres Schulbuch komplett neu denken zu können, führte Bernsen an. Man könne neue Medien und Kompetenzorientierung viel stärker berücksichtigen und habe dadurch Hoffnung auf die Zustimmung der über die Anschaffung entscheidenden Fachschaften. In Berlin herrsche eine große Unzufriedenheit mit Geschichtsbüchern für Gymnasien aufgrund mangelnder Quellentexte und selbsterklärender Fragen, erklärte Monika Spenger. Insbesondere bei einer starken Orientierung am europäischen Kontext und der Einbindung neuer Medien, z.B. auch in Verbindung mit modernen Lernplattformen, wie sie Christoph Pallaske vorgestellt habe, bestünden gute Chancen für ein neues Lehrwerk. Matthias Kneip verwies auf das starke Bildungsgefälle in Berlin und fragte nach Schlüssen, die man aus den Fehlern des deutsch-französischen Geschichtsbuches ziehen könne. Möglicherweise sei in der Sekundarstufe I eine binationale Sichtweise noch nicht so wichtig. Man werde auch bereits im Titel des Schulbuches die europäische Dimension betonen, so Strobel. Insgesamt sei man sich über die Schwierigkeiten im Klaren, wolle sich jedoch bewusst vom deutsch-französischen Schulbuch für die Sekundarstufe II abgrenzen und in der Sekundarstufe I auch nicht nur „Kinderthemen“ behandeln.

In der abschließenden Diskussion über die Tagung wünschten sich einige Teilnehmer mehr Raum für den Austausch über konkrete Projekte und Eindrücke aus der Schule sowie Anregungen für den Unterricht, v. a. für Projekte. Lehrer seien „Jäger und Sammler“, so Daniel Bernsen. Gerd Steffens drückte angesichts eines vielfältigen, lebendigen und unbefangenen Umgangs mit deutsch-polnischen Themen seinen „retrospektiven Neid“ aus. Matthias Kneip fragte sich zum Abschluss, ob nicht in einigen Bereichen doch eine nationalstaatliche Perspektive im Geschichtsunterricht hilfreich sei. Marcin Wiatr richtete den Blick auf die Fußball-Europameisterschaft 2012 und andere Themen als Aufhänger, wie z. B. Janosch, die als Türöffner dienen könnten.

Abschließend wiesen die Organisatoren auf die Möglichkeit des Austausches im Rahmen von Kontaktseminaren, beispielsweise des DPJW, hin. Gemäß der Anmerkung Dorothea Traupes, Lehrer sollten die Angebote außerschulischer Organisationen und Institutionen an ihre Schüler weitergeben, da dies einen Gewinn für alle zur Folge hätte, machte Manfred Mack auf das Angebot aufmerksam, Projekte rund um das Thema Polen an das DPI zu schicken, da auf diese Art der dort betriebene Bildungsserver wachsen könne und die Rolle eines Knotenpunktes einnehmen könne. Mit einem Dank bei allen Teilnehmern und Vortragenden der Tagung für das gute Gelingen beendeten die Organisatoren schließlich die Tagung.

(Dorothea Traupe / Mathias Kuczminski)